Dauerausstellung

THEMEN UND OBJEKTE

In der ersten Ausbauphase wird in einer ständigen Schau vorwiegend die ältere Geschichte bis 1850 behandelt. Eine historische Dokumentation in der ehemaligen Kammer präsentiert die institutionellen Rahmenbedingungen des frühneuzeitlichen Lebens in den Landgemeinden des Waldviertels. Der erste Abschnitt ist dem Thema "Pfarren und Gläubige" gewidmet, wobei die Waldviertler Urpfarre Altpölla  im Mittelpunkt steht (Abb. 1).  Neben Karten, die die Veränderung des Pfarrgebietes zeigen, finden sich hier gotische und barocke Skulpturen (Abb. 2), Bildnisse  und Dokumente wichtiger Geistlicher sowie Zeugnisse der Volksfrömmigkeit vom 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert (Abb. 3)

Abb1.jpg Abb. 1  Abb2.jpg Abb.2

Abb3.jpg Abb. 3     Abb4.jpg  Abb. 4

Im Bereich "Herrschaften und Untertanen" veranschaulichen barocke Darstellungen von Schlössern und Bildnissen mächtiger Adeliger der Region (Abb. 6) die herrschaftliche Pracht im Zeitalter des Absolutismus. Sie stand in großem Gegensatz zum kargen Leben der Untertanen, das durch ein Unterhemd aus Hausleinen  versinnbildlicht wird (Abb. 4). Die zahlreichen Funktionen, die die Grundherrschaften bis 1848 auch im Interesse der Untertanen ausübten werden u.a. durch Gerichtsurteile, Verlassenschaftsabhandlungen, Ehekontrakte der Herrschaftskanzleien in Krumau, Wetzlas, Ottenstein und Greillenstein vorgeführt (Abb. 5)

 Abb5.jpg  Abb.5      Abb6.jpg  Abb. 6

Der Abschnitt "Märkte und Bürger" behandelt das kleinbürgerliche Milieu am Beispiel des Marktes Neupölla. Die zentralörtliche Funktion wird vor allem am Marktrecht (Abb. 7) sowie überregionalen Einrichtungen wie Wehrkirche und Bürgerspital ersichtlich. Die ehemalige Vielfalt handwerklichen Lebens demonstrieren Werkzeuge, Produkte und Dokumente heute weitgehend ausgestorbener Berufe wie der Faßbinder, Hafner und Töpfer, Lebzelter und Wachszieher, Schlosser, Wundärzte, Färber und Uhrmacher (Abb. 8  u. 9) Die wirtschaftliche Bedeutung der Zünfte kann am Beispiel der Zunft der Faßbinder vom 17. bis zum 19. Jh. aufgezeichnet werden.

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Abb. 7                                                                    Abb. 8

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Abb. 9                                                                   Abb. 10                       

Die Wohnstube vermittelt mithilfe alter bäuerlicher Möbel und Einrichtungsgegenstände einen Eindruck von den Wohn- und Besitzverhältnissen der wohlhabenden Ganzlehner in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Abb. 10 u. 11). Daneben wird in diesem Raum auch die im Waldviertel weit verbreitete Hausweberei thematisiert, die einen einen wichtigen Nebenerwerb bildete (Abb. 12).

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     Abb.11                                                                Abb. 12

Die ursprüngliche Rauchküche präsentiert sich im Zustand der Zeit um 1900 und ist dem  Thema "Kochen und Essen" gewidmet, wobei Geräte und Gefäße auf die wichtigsten Nahrungsmittel wie Milch, Erdäpfel, Butter, Kraut oder Mohn verweisen (Abb. 13). Außerdem wird hier ein Überblick über die Formen der häuslichen Beleuchtung in früherer Zeit geboten vom Kienspan über Kerzen und Öllichter sowie Petroleum- und Karbidlampen bis zur Einführung des elektrischen Stromes (Abb. 14)

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Abb. 13                                                                           Abb. 14   

Der Dachboden beherbergt eine Sammlung bäuerlicher Gerätschaften aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Neben typisch Waldviertler Werkzeugen zur Bearbeitung von Flachs und Mohn finden wir hier die Entwicklung des Pfluges und der Egge vom Holz zum Eisen. Die Kunstfertigkeit des Holzhandwerkes zeigt auch eine fast gänzlich aus Holz gefertigte Getreidemühle (Abb. 15), Schlitten, Leiterwagerl und Scheibtruhe erinnern an längst vergangene Formen des Transportes, und der Bereich  der bäuerlichen Lebensmittelproduktion wird u. a. durch Butterfässer, Geräte für die Hausschlachtung sowie einen Skoda Milchseperator dokumentiert. Die mühevolle Arbeit der Hausfrauen machen Waschrumpeln und Bügelmaschinen deutlich.

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Abb. 15                                                                 Abb.16

Alltagsgeschichte und Familiensaga

1998 konnte das Museum die Ausstellungsfläche durch den Ausbau eines Dachbodens wesentlich vergrößern. Die dort präsentierte Sonderausstellung "Neupölla 10: ein Haus und seine Bewohner" führt den historischen Überblick von 1850 bis 1950 anhand der Geschichte der Familie Walter weiter, in deren Besitz sich das Haus von 1752-1955 befand. Die Familie lebte zunächst vom Schusterhandwerk später von der Landwirtschaft und war daher sozial zwischen Bürgertum (Abb. 17) und Kleinbauerntum angesiedelt. Im Mittelpunkt steht die Generation der um 1870 in Neupölla geborenen fünf Schwestern, von denen eine in Wien den Gastwirt Wenzel Hasenöhrl aus Westböhmen heiratete. Diese Abwanderung nach Wien ist nicht nur ein typisches Schicksal für die Sogwirkung der wirtschaftlichen Zentralräume, sondern hatte auch eine "Verbürgerlichung" der Alltagskultur im Haus Nr. 10 zu Folge. Das daraus folgende Aufeinanderprallen zweier Kulturen wird auch auf den Familienfotos aus den Dreißiger Jahren ersichtlich (Abb. 18)

Abb17.jpg Abb. 17  Abb18.jpg  Abb.18  Abb19.jpg  Abb. 19

Parallel zur Familiensaga wird die politische Entwicklung skizziert. Der Bogen beginnt im Zeitalter Kaiser Franz  Josefs, führt vom Ersten Weltkrieg und den wirtschaftlichen Problemen der Ersten Republik  bis zur nationalsozialistischen Herrschaft (Abb. 20), dem Zweiten Weltkrieg und zur Besatzungszeit (Abb. 21). Letztes Exponat ist eine Zeitung über den Bau des Atomreaktors Seibersdorf 1960.

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Abb. 20                                                                  Abb. 21

Im Schnittpunkt von gesellschaftlicher Entwicklung und Familiengeschichte gibt es zwei kleinere Schwerpunkte: eine reichhaltige Sammlung von Dokumenten zur Volksfrömmigkeit, die Gebetbücher aus dem 18. Jahrhundert, Flugschriften aus dem Vormärz sowie Wallfahrtsandenken der Jahrhundertwende aus österreichischen und böhmischen Gandenorten, aber auch Andenken an eine Romreise im Jahr 1925 umfaßt. Mehrere Zeugnisse des im Waldviertel weit verbreiteten Antisemitismus sowohl christlicher als auch deutschnationaler Provenienz werfen nicht nur ein Schlaglicht auf den Zeitgeist, sondern dokumentieren auch die Schattenseiten der jüngeren Vergangenheit (Abb. 19). Der gleichsam vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Atomzeitalter führende historisch-geistgeschichtliche Überblick wird vorwiegend in Schautafeln an der einen Seite des Raumes präsentiert.

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Abb. 22                                                                 Abb. 23

Abb24.jpg Abb. 24
Gegenüber  kann hingegen in drei Raumkojen detailreich die Wohn- und Alltagskultur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Jahrhundertwende (Abb. 22 u. 23) und der Zwischenkriegszeit studiert werden. (Abb. 24). Möbel, Kleider, Geschirr, Lebensmittel, Hygieneartikel (Abb. 25) und persönliche Souvenirs liefern ein Schaubild des jeweiligen Zeitgeistes. Daß dieser selbst in alltäglichen Gegenständen sichtbar wird, zeigt das Keramikdesign von 1925-1940: während die tschechischen Kaffeehäferl der 20iger Jahre die abstrakten Muster der Moderne zeigen, schmückte man die Schalen im Ständestaat nostalgisch mit Dirnen und Knechten. Das Wilhelmsburger Ostmarkdesign verpackte hingegen ebenso wie das nationalsozialistische Regime reaktionäre Inhalte in moderne Formen (Abb. 26)

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Abb. 25                                                                 Abb. 26                                                                     

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Im Spätsommer 2000 konnte die ständige Sammlung des Museums um die Schusterwerkstätte von Josef Krammer (1904-88) aus Neupölla Nr. 68 erweitert werden (Abb. 27).

 


 

Abb. 27

 

Bürgerliche Alltagsgeschichte von 1800 - 1860 

Zu Beginn der 20. Saison und im Rahmen der 30-Jahrfeier des Dorferneuerungsvereines „Club Neupölla“ wurde am 14. Mai 2016 die Erweiterung bzw. Umgestaltung des ersten Teiles der Dauerausstellung im Neuen Dachboden eröffnet. In sinnvoller Ergänzung zur Stube mit der bäuerlichen Wohnkultur dokumentiert der neue Raumteil die Alltagskultur der bürgerlichen Bewohner der Region um Neupölla in den ersten beiden Dritteln des 19. Jahrhunderts. Dem Konzept des Museums entsprechend geht es um die Darstellung wesentlicher politischer sowie sozialer Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Alltagskultur. Natürlich können im Museum in Neupölla nur einzelne Schwerpunkte aufgezeigt und anhand von Exponaten aus der Region exemplarisch vorgeführt werden. Aber die Auswahl ermöglicht doch Hinweise auf viele historisch bedeutsame Aspekte der Alltagsgeschichte einer Epoche. Die durch die Französische Revolution 1789 ausgelösten sozialen Verschiebungen bzw. der zu dieser führende Aufstieg der bürgerlichen Gesellschaft zeigt sich im Gebiet der Marktgemeinde Pölla exemplarisch an der Herrschaft Dobra-Wetzlas-Krumau. Diese befand sich bis 1815 im Besitz des Fürsten Prosper von Sinzendorf, der im Museum durch einen Punktierstich von Carl Hermann Pfeiffer nach Heinrich Friedrich Füger vertreten ist. Dann wurde die Herrschaft an den Bankier Heinrich von Pereira-Arnstein und 1842 an den Seidenfabrikanten Franz von Andreae verkauft. Sowohl der Bankier als auch der Textilindustrielle symbolisieren als Grundherren die neue Macht des Bürgertums, die auf den technischen und wirtschaftlichen Errungenschaften wie Dampfschifffahrt und Eisenbahn sowie dem Aufbau von Banken und Industriebetrieben basierte. Die rasche Entwicklung des Verkehrswesens kann durch einen „Krakauer Schreib-Kalender“ von 1850 veranschaulicht werden, der auch Verzeichnisse der Tarife für Bahnfahrten bis Olmütz und Laibach sowie Schifffahrten von Linz nach Konstantinopel enthält. Ebenso wie Modetrends kamen auch zahlreiche technische Neuerungen aus dem Ausland. Schon um 1850 meldeten Allen B. Wilson und Nathaniel Wheeler ein Patent für eine Nähmaschine an. Ein Nähkopf dieser Firma aus der Zeit um 1860, nämlich Modell Nr. 4 von Wheeler & Wilson hat sich als besondere Rarität in Neupölla erhalten (Abb. 28). Eine wesentliche Voraussetzung für den bürgerlichen Vermögenserwerb und den materiellen Genuss solcher technischer oder kommerzieller Neuerungen bildete die Rechtsicherheit, wie sie in Österreich 1811 durch das „Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch“ grundgelegt wurde. Ein Exemplar dieses vom 1. Jänner 1812 teilweise bis heute bis heute gültigen ABGB kann ebenfalls in Neupölla gezeigt werden (Abb. 29). 

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   Abb. 28                                                     Abb. 29

Als Gegenbewegung zur vernunftdominierten Aufklärung und beginnenden Industrialisierung entstand  die gefühlsbetonte Strömung der Romantik. Man begeisterte sich dabei sowohl für malerische Landschaften als auch für Relikte der mittelalterlichen vaterländischen Geschichte. Eine Radierung der Ruine Dobra von Anton Köpp von Felsenthal zeigt diese Vorliebe für romantische Ruinenlandschaften (Abb. 30). 

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   ​Abb. 30
Die bürgerliche Familie basierte auf der beruflichen Tätigkeit des Mannes im Geschäft oder Büro und der Arbeit der Frau im Haus und bei den Kindern. Auch die Wohnbereiche wurden daher zunehmend differenziert und dies führte zu einer allmählichen Trennung von Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmern. Dazu kamen neue Möbelformen für neue Lebensgewohnheiten: getrennte Kleiderkästen für Mann und Frau, Waschtische und Spiegel im Schlafzimmer sowie Kredenzen, Glaskästen, Tagesbetten, Nähtischchen und Sekretäre im Wohnzimmer. Vor allem die vorher nur Adeligen vorbehaltenen eigenen Möbeltypen für die Körperpflege und die Freizeitgestaltung verrieten den sozialen Aufstieg des Bürgertums und die gesellschaftlichen Veränderungen innerhalb des Hauses. So stand den besser situierten Bürgern nun im Schlafzimmer ein Waschtisch oder Waschkasten mit Lavoir zur Verfügung. Das Tagesbett war eine ebenfalls in Frankreich entwickelte Kombination eines Sitz- und Liegemöbels. Den auf den ersten Blick sichtbaren Hauptunterschied zu den bäuerlichen Möbeln bildet die Verwendung von Furnieren bevorzugt aus Nußbaum und Kirschbaum sowie deren Oberflächenbehandlung mit glänzendem Schellack (Abb. 31). Dass auch im ökonomisch bescheidenen Milieu des Waldviertels die sprichwörtliche Geselligkeit des Biedermeier Eingang fand, veranschaulichen die handschriftliche Noten für ein vierstimmiges „Tantum ergo in G“ des Kirchenchores in Neupölla von 1828 sowie eine Kaffeemühle und Kaffeegeschirr aus Porzellan (Abb. 32). Parallel dazu wurde auch den Kindern verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet, wie dies eigene Kinderreligionsbücher und ein Spielzeugbügeleisen aus Messing veranschaulichen (Abb.33).

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 Abb. 31                                                                       Abb. 32 

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  Abb. 33 

Ebenso wie im bäuerlichen Wohnbereich der Stube ist es bei der Erweiterung das museologische Credo des „Ersten österreichischen Museums für Alltagsgeschichte“ die eben genannten Phänomene einer bürgerlichen Wohn- und Alltagskultur nicht nur allgemein vorzustellen, sondern anhand konkreter BewohnerInnen des Gemeindegebietes zu personifizieren. Dies ist in diesem Fall besonders anschaulich möglich, weil sich zahlreiche Sachzeugnisse wohl nicht zufällig von jenen Familien erhalten haben, die auch die ältesten dokumentierten Bildnisse in gemalter und fotographischer Form in Auftrag gegeben und damit auch ihr individuelles Selbstbewusstsein als Angehörige des aufstrebenden Bürgerstandes dokumentiert haben. Hier kam dem Museum in Neupölla der historisch und museologisch günstige Umstand zu Hilfe, dass einer der wenigen namentlich bekannten Waldviertler Porträtmaler des Biedermeier, Michael Reis, sich offensichtlich vorübergehend in Neupölla aufgehalten hat und daher nicht weniger als sechs Bildnisse von Persönlichkeiten aus der Region erhalten blieben, von denen das Bildnis des Pfarrers von Krumau und Gföhl, Johann B. Mühler, im Original im Museum gezeigt werden kann (Abb. 34). Als Vertreter einer bürgerlichen Lebensweise werden auch der Dechant und erste Bürgermeister von Altpölla, Alois Schmid, sowie der Kaufmann und erste Bürgermeister von Neupölla, Iganz Hofbauer, präsentiert. Mit Objekten und Porträts sind außerdem die Ärztedynastie Assem-Dolliner, der Schuhmacher und damalige Besitzer des Museumsgebäudes Franz Walter sowie der Bindermeister Josef Leidenfrost und deren Ehefrauen im „Biedermeierzimmer“ vertreten. 

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  Abb. 34

Marktgemeinde Pölla
Neupölla 4, 3593 Neupölla, Telefon +43 2988 6220, Fax: +43 2988 6220 4
E-mail: gemeinde@poella.at, Internet www.poella.at